Fremde Heimat - vertraute Fremde

Fremde Heimat - vertraute Fremde

Freitagnachmittag ... eine Woche des Studierens vorüber, Zeit meine Reisetasche zu packen und in Richtung Heimat zu fahren. Doch an diesem sonnigen Pfingstwochenende vor 9 Jahren war alles anders - nichts drängte mich, zu gehen. Ich hatte vom "Treffen der deutschsprachigen Muslime" gehört, welches an diesem Wochenende an meiner Universität stattfinden sollte.

Aus dem Fenster meiner Studentenzimmers konnte ich das bunte Treiben beobachten und eine unbändige Neugier überkam mich. Etwas scheu tauchte ich in die mir fremde Welt ein. Ich lauschte einem Vortrag von Fatima Grimm und ihre Worte berührten mein Herz und meinen Verstand. Ich konnte mich nicht satt hören! Hatte ich endlich den Weg gefunden, der mir Antworten auf all meine Fragen geben und der mein Herz beruhigen würde? Ich kam ins Gespräch mit sehr vielen lieben Schwestern. Noch nie fiel es mir so leicht Kontakte zu knüpfen. Und ich genoss die Wärme, diese Geschwisterlichkeit. Zum ersten Mal in meinem Leben sah ich die Menschen sich im Gebet niederwerfen, es faszinierte mich und die Quranrezitation fesselte mich. Meine Ohren verstanden kein Wort, doch mein Herz verstand! Eine deutsche Schwester hat mich damals an die Hand genommen und mir meine Fragen beantwortet. Sie erzählte mir von Ihrem Weg zum Islam. Ihr Geschenk, was sie mir später mit der Post zuschickte, ist das beste Geschenk, was ich je erhalten habe -ein zehnbändigen Quran mit deutscher Übersetzung und Tafseer. Ihre Freundschaft hat mir meinen Weg zum Islam sehr erleichtert und bis heute ist sie mir eine treue und teure Freundin.

Es war Sonntagnachmittag...die Geschwister hatten sich auf dem Heimweg gemacht, die Straßen auf dem Universitätsgelände, die Hörsäle, die Cafeteria leer und verlassen. Die Atmosphäre, die mich in ihren Bann gezogen hatte, verflogen. Ich war traurig!!! Doch ich spürte in mir eine Veränderung, eine Kraft, die mich auf die Zukunft hoffen lies. Eine kleine Übersetzung des Quran war von diesem Wochenende an meinem ständigen Begleiter. Ich las und ich staunte! Plötzlich erschien mir alles in einem anderen Licht, alles so klar und logisch. Ich fand die Antworten auf Fragen, die mich seit Kindheitstagen plagten.

Fragen aus Kindertagen

 

Als Kind hat man mich Hansguckindieluft genannt.

Wahrscheinlich hab ich damals schon geahnt,

das im Himmel ganz weit oben,

die Antworten auf meine Fragen wohnen.

 

Auf taube Ohren meine Fragen stießen,

Die mich nachts nicht schlafen ließen.

Hör auf zu träumen, hat man mir gesagt,

Vergeude damit nicht den Tag.

 

Wieso, weshalb, warum?

Warum ist die Banane krumm?

Was ist meines Lebens Sinn?

Wo komm ich her, wo geh ich hin?

 

Sonne, Mond und Sterne,

Wie wüsst ich doch so gerne,

was sich dahinter wohl versteckt.

Wer hält sie bloß an ihrem Fleck?

 

Was war der Anfang von dem Ganzen?

Aus den Samen wachsen Pflanzen.

Aber woher kommt nur der Samen?

Wer gab den Dingen ihre Namen?

 

Menschen, Tiere, Pflanzen und Gestein,

Das kann doch wohl kein Zufall sein?

Berge, Flüsse, Meere, Wüstensand,

Das alles aus dem Nichts entstand?

 

Wenn wir größer werden,

Vergessen wir all diese Fragen,

Oder wir begnügen uns mit einer Theorie,

Ideologien, Naturwissenschaft, Philosophie.

 

Religion als Opium,

Wahrheit eine Illusion.

Wer leidet hier an Realitätsverlust?

Wer trägt ein totes Herz in seiner Brust?

 

Gefangen in Gelüsten und Begierden wird Freiheit postuliert,

Angst betäubt, innere Leere durch Gewalt abreagiert.

Auf der Suche nach dem verlorenen Glück,

orientierungslos, mit verschleiertem Blick.

 

Man lebt, auch wenn man nichts versteht,

Und die Zeit vergeht, bis es zu spät.

Im Angesicht des Todes erinnert man sich an die Fragen,

die man gestellt in Kindheitstagen.

 

Fragen über Fragen,

Wer kann uns nur die Lösung sagen?

Gott allein,

kann nur die Antwort sein.

 

Es weiß doch jedes kleine Kind,

Dass wir hier nicht zum Spielen sind.

Deshalb stellt es diese Fragen,

Fragen, Fragen – aus Kindertagen.

 

 

Meinen Eltern fiel es von Anfang an sichtlich am schwersten meine Entscheidung für den Islam zu akzeptieren. Meiner Mutter geisterte ständig der Film "Nicht ohne meine Tochter" im Kopf herum, in dem es um die Unterdrückung einer amerikanischen Frau und ihrer Tochter durch ihren iranischen Ehemann und dessen Familie geht. Ich konnte ihre Sorge um mich immer verstehen, doch mein Drang, die Wahrheit zu entdecken, war stärker. Trotz aller Widerstände hatte ich immer das Gefühl, das Richtige zu tun. So nahm ich die Herausforderung an, Sie davon zu überzeugen, dass ich mit Allah (swt) an meiner Seite glücklicher und sicherer als je zuvor bin.

Ich erinnere mich an eine Episode. Einst half ich einer älteren Dame dabei ihre schweren Einkaufstaschen zu tragen. Dabei kamen wir ins Gespräch. Nachdem wir einige Sätze gewechselt hatten, fragte sie mich verwundert: Wieso ich so perfekt deutsch spreche und aus welchem Land ich komme. Ich musste wirklich schmunzeln und erklärte ihr, dass ich seit meiner Geburt in Deutschland lebe und meine Eltern, Großeltern und Urgroßeltern auch hier aufgewachsen sind. Mit dem Kopftuch als Muslima geoutet wurde ich zur Fremden in der Heimat.

 


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