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Warum wiederholt sich der Koran so oft? Ist das nicht schlechter Stil?
#1
bismillah Salam_wr_wb

Häufig wird behauptet, der Koran verwende einen schlechten Stil, weil er viele Themen immer wieder aufgreift und an mehreren verschiedenen Stellen behandelt. Im Folgenden wollen wir aufzeigen, dass diese Art von Wiederholungen keineswegs ein Anzeichen schlechten Stils sind, sondern dass derjenige, der dies behauptet nur nicht weiß, wie man mit diesem Phänomen umzugehen hat.


1. Wiederholungen sind nicht immer schlechter Stil

Wie man bereits in der Schule lernt, sind Wiederholungen in gewöhnlichen Texten zu vermeiden. Widmet man sich allerdings der Gedichtinterpretation, so wird man schnell feststellen, dass man Wiederholungen nicht einfach als „schlechten Stil“ abtun kann, sondern dass man versuchen sollte, diesen Wiederholungen durch Interpretationen einen Sinn abzugewinnen.
Dazu sei ein Gedicht von Johan Wolfgang von Goethe angeführt:

Zitat:März

Es ist ein Schnee gefallen,
Denn es ist noch nicht Zeit,
Daß von den Blümlein allen,
Daß von den Blümlein allen

Wir werden hoch erfreut.

Der Sonnenblick betrüget
Mit mildem, falschem Schein,
Die Schwalbe selber lüget,
Die Schwalbe selber lüget,

Warum? Sie kommt allein!

Sollt ich mich einzeln freuen,
Wenn auch der Frühling nah?
Doch kommen wir zu zweien,
Doch kommen wir zu zweien,

Gleich ist der Sommer da.
Johan Wolfgang von Goethe
Es wäre nun fatal, anzunehmen, dass es sich bei diesen Wiederholungen lediglich um „schlechten Stil“ handle, und der Lehrer wird einem Schüler, der sie in einer Klassenarbeit als solche bezeichnet anstatt sie zu interpretieren, sicher Abzüge geben.


2. Wiederholungen erfüllen einen Zweck

Wie wir gezeigt haben, wird einen die Grundannahme, dass jede Wiederholungen automatisch „schlechter Stil“ sei zu einem falschen Ergebnis führen. Denn wie in Gedichten, gibt es noch viele andere Kontexte, in denen Wiederholungen einen Zweck erfüllen und nicht einfach aus Unwissenheit oder mangelnder Stilkenntnis produziert wurden.

Die Werbeindustrie beispielsweise lebt von Wiederholungen. Wer regelmäßig fernsieht, mag möglicherweise schon einmal bemerkt haben, dass er den Text eines Werbespots unbewusst auswendig gelernt hat. Denn die Werbeindustrie zielt darauf ab, ihre Produkte durch ständige Wiederholung bekannt zu machen. Würden Werbespots, Plakate usw. nicht immer und immer wieder wiederholt, hätten sie nicht den Effekt, den ihre Macher damit erreichen wollen.

Oder betrachten wir ein Beispiel, dass jeder mit Sicherheit aus seiner Kindheit kennt: Unsere Eltern sagen uns bestimmte Dinge immer und immer wieder: „Nimm eine Jacke mit, es könnte regnen“, „Vergiss nicht, deine Zähne zu putzen“ und so weiter. Die Eltern tun dies mit Sicherheit nicht, weil sie es nicht anders ausdrücken könnten oder weil ihnen nichts anderes einfällt, sondern weil sie wollen, dass ihre Kinder sich bestimmte wichtige Dinge im Leben einprägen.

Diese Beispiele und das Gedicht zeigen, dass Wiederholung, welcher Art sie auch immer seien, nicht immer automatisch schlecht sein müssen, sondern dass man sich zunächst im Klaren über ihre Funktion sein muss. Wenn dies für ein von Menschen geschriebenes Gedicht gilt, wie ist es dann erst beim Koran, mit dem Allah uns zum Nachdenken, zur Interpretation und zum Verständnis einlädt?


3. Welchen Zweck erfüllen die Wiederholungen im Koran?

Unser Schöpfer hat den koranischen Text aus Seiner Weisheit heraus in einem Stil offenbart, bei dem sich viele Geschichten, Gebote und Glaubensinhalte an mehreren Stellen wiederholen. Schalten wir nun unseren Verstand ein und berücksichtigen, dass Allah, der „bei dem weisen Koran“ (36:2) schwört, in seiner Offenbarung mit Sicherheit nichts Unweises äußert, so können wir in den Wiederholungen im Koran viele Weisheiten erkennen.
  • 3.1. Erinnerung an wichtige Dinge
    Im Gegensatz zu den Beispielen mit der Werbung und den Eltern, die ihr Kind ständig an die gleiche Sache erinnern, damit es sie nicht vergisst, will Allah, der Erhabene, uns mit dem Koran auf eine Sache aufmerksam machen und uns an etwas erinnern, dass unendlich wichtiger und bedeutsamer ist, als jedes Produkt, das die Werbung anpreisen könnte, und jede weltliche Verhaltensweise, die Eltern ihrem Kind beibringen könnten:

    „Und hütet euch vor einem Tag, an dem ihr zu Allah zurückgebracht werdet. Dann wird jeder Seele in vollem Maß zukommen, was sie verdient hat, und es wird ihnen kein Unrecht zugefügt.“ (Koran, 2:281)
Allah erinnert uns also an vielen Stellen im Koran immer und immer wieder daran, dass wir nicht für immer in dieser Welt leben werden, sondern dass wir am jüngsten Tag zu Ihm zurückkehren werden und für unsere Taten zur Rechenschaft gezogen werden. Jeder vernünftige Mensch weiß ganz genau, dass er einmal sterben wird; deshalb zielt die ständige Wiederholung mitunter darauf ab, uns dies auch bewusst zu machen, denn der Mensch ist vergesslich und unachtsam.
Würde Allah diese Sache nur ein einzige Mal im Koran erwähnen, dann würde sie zwar einen informativen Zweck erfüllen, nicht aber einen ständig erinnernden.
  • 3.2. Verteilung der Themen
    Dadurch, dass die Themen, über die der Koran spricht, an mehreren Stellen immer wieder vorkommen, ist gewährleistet, dass sie in kürzeren Abständen wieder ins Gedächtnis des Lesers gerufen werden. Viele Muslime folgen beispielsweise der Praxis, den Koran einmal im Monat zu je einem Dreißigstel pro Tag komplett zu lesen. Würden nun alle Suren nur von einem Thema handeln, so würde man beispielsweise die Geschichte von Moses oder andere wichtige Dinge nur einmal im Monat lesen. Dadurch dass sie aber verteilt sind und an mehreren Stellen wiederholt werden, liest man über dieselbe Sache vielleicht alle paar Tage und nicht nur einmal im Monat.
    Darüber hinaus wird der Koran auch im Gebet regelmäßig gelesen, er ist ein lebendiges Buch. Es macht Sinn, dass ein Buch, dass so eng an unser alltägliches Leben gekoppelt ist, und das voll von Lehren, Bittgebeten, Geboten und Verboten, Geschichten, Weisheiten und Glaubenslehre ist, die wir tagtäglich anwenden und an denen wir unser Leben ausrichten, so macht es Sinn, dass nicht ein bestimmtes Thema nur an einer einzigen bestimmten Stelle im Koran zu finden ist, sondern dass sie immer wieder wiederholt werden und auf alle Stellen im Koran verteilt sind.

4. Gottes Stil ist nicht mit menschlichen Maßstäben zu messen

Letztendlich muss man sich im Klaren darüber sein, dass Allah kein Buch nach menschlichen Maßstäben offenbaren muss. Einleitung, Hauptteil, Schluss – einen Text mit diesem Aufbau kann jeder Grundschüler schreiben. Dem gegenüber beginnt der Koran mit drei einzelnen Buchstaben, „Alif Lām Mīm“, welche die Muslime selbst nach über 1400 noch nicht mit Sicherheit interpretieren konnten. Wer sind wir Menschen, unserem Schöpfer vorschreiben zu wollen, wie er seine Offenbarung zu gliedern hat? – Das soll nicht heißen, dass wir überhaupt nichts am Koran verstehen können, sondern lediglich, dass wir über die Dinge, die uns ungewöhnlich erscheinen, nachdenken müssen, anstatt sie leichtfertig als schlechten Stil abzutun.


Und Allah weiß es am besten.



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